Andreas Baur Kurator Villa Merkel Esslingen

Wasserfront, eine in diesem Jahr entstandene Dreikanal-Videoprojektion der Schweizer Künstlerin Alexandra Maurer, stellt die Betrachter mitten ins Geschehen. Und es geht zur Sache. Am Beginn zeigt die linke der drei großformatigen Projektionen den Strahl eines Wasserwerfers. Dieser zielt geradezu auf die Betrachter und trifft, nach einem ersten Schnitt, im Bild dann Demonstranten. Sie versuchen sich zu schützen. Abwehrgesten. Unterarm vors Gesicht! Ducken! Wenn möglich, schnell der Sprung zur Seite auf sicheres Terrain. Die nächtliche Szenerie löst sich auf in lichtreflektierenden Sprühnebeln. Hell- Dunkel, fast schwarzweiß. Die Projektionen rechts davon zeigen schnell hintereinander geschnitten grell-bunte Einzelbilder. Körperpartien. Gesten und Haltungen. Durchaus vergleichbar denen, welche die Demonstranten auszeichnen. Es scheint, als seien diese in medialem Transfer nun der Malerei eingeschrieben und zugleich als führten sie Einzelbild für Einzelbild, als Animation zurück zum Video. Jedenfalls: Die Bilder springen von einer in die andere Projektion (und auf verschiedene mediale Ebenen). Formal greifen sie ineinander. Sie nehmen Bezüge auf, oder es schreiben sich Weißräume von der einen in die andere Projektion fort. Bilderfluss. Nicht, dass er je ins Stocken geriete. Aber es gibt merklich rhythmische Wechsel. Etwa wenn der Mitschnitt der Demonstration – Found footage im Übrigen –, in einzelne Bilder zerlegt, die Vertaktung der animierten Malerei aufnimmt. Später dann, für eine Zeit lang Gleichklang. Alle Projektionen zeigen eine Szene, in der Lampenlicht pulsiert. Langsam. Als würde das Gezeigte sich selbst ausleuchten und, vom Fotografischen her gedacht, sich geradezu selbst belichten. Dann folgt der Schnitt zur ruhigen Schlusssequenz.

Das strategische Zusammenführen von Bildmaterial unterschiedlicher Provenienz ist zeitgenössisch und heutzutage durchaus verbreitet. Sampling. Oft sind dabei die disparaten Bildbeutestücke kompromisslos hart gegeneinander gesetzt. Alexandra Maurer allerdings orchestriert ihre Bildmaterialien. Die Choreographie der drei Projektionen ist höchst ausgefeilt. Bild, Bild, Leerstelle. Bild, Leerstelle, Bild usw. Zu sehen sind Körper in Bewegung, Fülle und ein Tanz (durch die Lüfte). Der musikalisch aufgebaute Bilderfluss evoziert Erotisches, zeigt aber auch: Aggression, Gewalt, Bedrohung. Fast deformiert erscheinen bisweilen die Körperfragmente, die (manchmal eigentümlich schwerelos) durch Bildräume trudeln. Man fühlt sich erinnert an Darstellungen des stürzenden Ikarus oder an das Thema des Höllensturzes der Verdammten, neu interpretiert. Die moralischen Implikationen durchaus mitgemeint. Jedenfalls dann, wenn man von den Demonstrationsmitschnitten ausgeht. Denn solche Bilder tragen immer auch die Frage bei, wann und ob überhaupt je Gewalt etwa zur Durchsetzung von Ordnung ein probates Mittel sei. Maßlos, entfesselt. Zugleich interpretatorisch offen – es ist nicht einsilbig festzulegen,

wie sich hierzu die animierten Videopassagen verhalten. Widerständig, auf dieser Ebene? Und sie zeigen den Unterschied im Korn. Sie thematisieren dasjenige der Malerei, deren abstrakte Texturen sich hier und dort in Close-ups zeigen. Antwort darauf geben unscharfe Videosequenzen, Schlieren, Wackler oder Überblendungen – Bildpunkte, die dieses Medium charakteristisch zeichnen. Wasserfrontist vielschichtig medial reflexiv angelegt.

Es sind die Pausen, die vermeintlichen Leerstellen, die einer insbesondere auch musikalischen Komposition Struktur geben. Und Raum. Raum, in den hinein sich Tonfolgen (gedanklich) fortschreiben und weiterhören lassen. Weit über das beschränkte Klangvolumen beispielsweise eines Klaviers hinaus. Es sind die Pausen, in denen Grenzverschiebung und Weitung gelingen können. Was für das Hören gilt, gilt nicht minder für das Schauen. Die Bewegung erzeugt Resonanzräume, der Bilderfluss geht weiter. Die VideoinstallationWasserfronteröffnet weit mehr, als was ihre einzelnen Bilder zeigen.

Die Anfangs- und die Schlusssequenz der Videoarbeit sind verbunden. Brücken schlagen formale Aspekte, etwa das Überblenden des Weiß des Wasserstrahls oder im Aufscheinen des Lichts am Ende der Unterführung. Auch die Gerichtetheit. Die Passage durch die Unterführung hat Alexandra Maurer selbst aufgenommen. En passant. Die Kamera mehr nur über die Schulter gehängt als gezielt geführt. Schaukeln. Kein fester Boden unter den Füßen.Wasserfront, vier Minuten zwölf, geloopt. Immer wieder. Da, Funkenflug! War’s ein Molotow-Cocktail? Übrigens trägt keine der gemalten Figuren Schuhe. Rot und Ocker herrschen vor. Dazu Blau und Ausmischungen ins Grünliche. Die Farben von Fleisch. (Fast möchte man ein Bild geschlachteter Ochsen von Chaim Soutine ins Spiel bringen: brutal, unmissverständlich, ausdrucksstark.) Auch hier: der Boden bebt.